Einführung eines elektronischen Meldesystems zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs
Im Koalitionsvertrag 2021 ist als Ziel formuliert, Steuerhinterziehung und Steuervermeidung noch intensiver zu bekämpfen. So soll die Betrugsanfälligkeit der Umsatzbesteuerung durch die schnellstmögliche Einführung eines bundesweiten elektronischen Meldesystems für die Erstellung, Prüfung und Weiterleitung von Rechnungen gesenkt werden. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat jüngst hierzu Details mitgeteilt. Es sollen die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt werden, um das bestehende System zu modernisieren und zu entbürokratisieren. Dies gilt auch für die Schnittstelle zwischen der Verwaltung und den Unternehmen.
Die Umsatzsteuer ist systembedingt betrugsanfällig. Betrügereien und Hinterziehungen schädigen den Haushalt und damit die Allgemeinheit, sie führen zu Wettbewerbsverzerrungen und vernichten Arbeitsplätze. Bürgerinnen und Bürger und Unternehmerinnen und Unternehmer haben daher einen Anspruch darauf, dass der Staat diesen Entwicklungen vehement entgegenwirkt.
Hintergrund: Das System der Umsatzsteuer ist aufgrund des Auseinanderfallens der Berechtigung zum Vorsteuerabzugs und der Umsatzsteuerschuld betrugsanfällig. Die Umsatzsteuer wird als Bestandteil des Preises für eine Leistung vom Leistungsempfänger an den Leistungserbringer gezahlt, der den Steuerbetrag an das Finanzamt abführen muss. Sofern der Leistungsempfänger Unternehmer ist, hat er systembedingt grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass ihm die gezahlte Steuer vom Finanzamt als sogenannte Vorsteuer erstattet wird. Führt der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer pflichtwidrig nicht an das Finanzamt ab, muss der Fiskus den Vorsteuerbetrag grundsätzlich dennoch auszahlen. Es kommt zu einem unvalutierten Vorsteuerabzug.
Gemeinsam mit den Ländern, die nach Art. 108 des Grundgesetzes für die Erhebung und Kontrolle der Umsatzsteuer zuständig sind, hat das BMF bereits eine Vielzahl von organisatorischen und gesetzlichen Maßnahmen umgesetzt. Diese Maßnahmen sollen konsequent weiter verschärft werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Einführung eines elektronischen Systems zur transaktionsbezogenen Meldung von Umsätzen in Echtzeit (Transaction based reporting – TBR).
Ziel der Bundesregierung ist es, das Steuersystem für Menschen und Unternehmen einfacher zu machen. Dazu soll die Steuerverwaltung weiter digitalisiert und entbürokratisiert werden. Steuerhinterziehung und Steuervermeidung sollen noch intensiver bekämpft werden.
Aufgrund der zunehmend grenzüberschreitenden betrügerischen Aktivitäten ist bei der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs die Zusammenarbeit der Verwaltungen der EU-Mitgliedstaaten von besonderer Bedeutung. Rechtliche Grundlage hierfür ist die „Verordnung des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer“ (EU-VO Nr. 904/2010).
Auf der Grundlage dieser Verordnung wurde ein multilaterales Frühwarnsystem zur gezielten und schnellen Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug sowie zur Aufdeckung von Betrugsmustern und Entwicklungen (Eurofisc-Netzwerk) eingerichtet. In verschiedenen spezialisierten Arbeitsbereichen tauschen Verbindungsbeamte aus den EU-Mitgliedstaaten sowie Norwegen gezielte Informationen zu schwerwiegendem grenzüberschreitendem Umsatzsteuerbetrug aus. In diesem Netzwerk arbeitet Deutschland intensiv mit.
Auch durch neue Rechtsvorschriften wurde das vorhandene Handwerkszeug zur Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung erweitert. So haben die Finanzämter seit dem 1. Januar 2020 die Möglichkeit zur Versagung des Vorsteuerabzugs und der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen, sofern der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit der von ihm erbrachten Leistung oder seinem Leistungsbezug an einer Hinterziehung von Umsatzsteuer beteiligt. Mit dieser Regelung wurde die bestehende EuGH-Rechtsprechung in dem Bereich umgesetzt.
Außerdem können die Finanzämter seit dem 1. Januar 2021 die Gültigkeit der für innergemeinschaftliche Lieferungen und sonstige Leistungen erforderlichen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (sog. USt-IdNr.) begrenzen, sofern ihnen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese für betrügerische Zwecke genutzt wird. Dies gilt auch, wenn der Missbrauch einer solchen Nummer zur Schädigung des Umsatzsteueraufkommens in einem anderen EU-Mitgliedstaat führt.
Hintergrund zur USt-IdNr.: Unternehmen, die Lieferungen und Leistungen innerhalb des Europäischen Binnenmarkts erbringen oder beziehen, wird eine UStIdNr. erteilt. Zuständig für die Erteilung ist das Bundeszentralamt für Steuern. Die UStIdNr. ist Voraussetzung, um Lieferungen an Abnehmer in anderen EUMitgliedstaaten steuerfrei ausführen zu können. Die UStIdNr. ist das einheitliche Ordnungskriterium für das europäische UmsatzsteuerBinnenmarktKontrollverfahren, worüber sichergestellt wird, dass die steuerfrei ausgeführten Lieferungen vom Abnehmer in einem anderen EUMitgliedstaat der Umsatzsteuer unterworfen werden (Erwerbsbesteuerung).
Nach Art. 199a Abs. 1 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSRL) können die EU-Mitgliedstaaten für die dort aufgeführten Leistungen nationale Regelungen für die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers (sogenanntes Reverse-Charge-Verfahren) erlassen. In diesen Fällen zahlt der Leistungsempfänger die auf die erbrachte Leistung entfallende Umsatzsteuer nicht an den Leistungserbringer, sondern behält diese ein und führt sie an das Finanzamt ab. Damit fallen Vorsteueranspruch und Steuerschuld beim Leistungsempfänger zu sammen, sodass Steuerausfälle vermieden werden.
Deutschland hat von den bestehenden Möglichkeiten bei Anhaltspunkten für betrugsrelevante Vorgänge bereits umfassend Gebrauch gemacht, zuletzt z. B. bei der Übertragung von Gas- und Elektrizitätszertifikaten und bei bestimmten Telekommunikationsdienstleistungen (vgl. § 13b Umsatzsteuergesetz).
Für die Übertragung von Emissionszertifikaten nach dem Brennstoffemissionshandelsgesetz wird das Reverse-Charge-Verfahren mit dem „Achten Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen sowie zur Änderung weiterer Gesetze“ eingeführt.
Die Erhebung der Umsatzsteuer, im internationalen Kontext auch als Mehrwertsteuer bezeichnet, ist in ein harmonisiertes europäisches Regelungssystem eingebunden. Dementsprechend steht die Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs auch auf der europäischen Agenda weit oben. Die Europäische Kommission hat angekündigt, noch in diesem Jahr einen Richtlinienvorschlag mit dem Arbeitstitel „VAT in the digital age“ (Mehrwertsteuer im digitalen Zeitalter) vorzulegen, mit dem der Rechtsrahmen für die Mehrwertbesteuerung des grenzüberschreitenden Handels weiterentwickelt werden soll.
Das BMF erwartet, dass dieses Rechtsetzungspaket nicht nur Regelungen für ein europäisches System zur Meldung von grenzüberschreitenden innergemeinschaftlichen Umsätzen, sondern auch Eckpunkte für die Meldung rein nationaler Transaktionen enthalten wird.
Harmonisierte Regelungen sind notwendig, um einen reibungslosen Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten zu gewährleisten und administrative Belastungen der Wirtschaft, die durch die Einführung eines Meldesystems entstehen werden, zu begrenzen.
Dies gilt aus Sicht des BMF insbesondere für die Verwendung möglichst einheitlicher Formate für die elektronische Rechnung und für den Einsatz einheitlicher Systeme im nationalen und grenzüberschreitenden Bereich.
Gemeinsam mit den Ländern erarbeitet das BMF derzeit auch ein Konzept für die Einrichtung eines Meldesystems in Deutschland. Dabei steht das BMF im bilateralen Austausch mit anderen EU-Mitgliedstaaten, die entsprechende Systeme bereits national eingeführt haben (z. B. Italien) oder dies in nächster Zeit realisieren werden (z. B. Frankreich).
Die Erhebung von Daten in einem möglichst zeitnahen Zusammenhang mit der Ausführung des Umsatzes ist für die Betrugsbekämpfung von großer Bedeutung. Deshalb will sich die Verwaltung auf die Meldung von Umsätzen in Echtzeit konzentrieren. Dies allerdings – jedenfalls zu Beginn – begrenzt auf Rechnungen zwischen zwei Unternehmen (Business-to-Business, B2B).
Die elektronische Rechnungsstellung im B2B-Bereich wird wesentlicher Bestandteil des transaktionsbasierten Meldesystems sein. Zur Reduzierung bürokratischer Lasten wird dabei angestrebt, bekannte Standards wie die EU-Norm EN-16931 vorzugeben, die z. B. im Bereich der öffentlichen Verwaltung bereits zur Anwendung kommen.
Ein besonderes Augenmerk soll bei der Erarbeitung des Konzepts auf die Frage gelegt werden, wie die erhebliche Datenmenge sinnvoll für das Ziel der noch effektiveren Betrugsbekämpfung genutzt und ausgewertet werden können. Allein für den B2B-Bereich liegen die Schätzungen bei jährlich circa zwei bis drei Milliarden ausgestellten Rechnungen.
Der angekündigte Legislativvorschlag der Europäischen Kommission wird jedenfalls weitreichende Auswirkungen auf die mögliche Ausgestaltung eines nationalen Verfahrens haben. Daher will das BMF den Legislativvorschlag in die weiteren Überlegungen einbeziehen – insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von Doppelentwicklungen und von mehrmaligem Umstellungsaufwand für die Wirtschaft und auch die Verwaltung. Umgekehrt sollen die in Deutschland im Rahmen der Arbeiten mit den Ländern gewonnenen Erkenntnisse in die Beratungen des Richtlinienvorschlags eingebracht werden.
Zum weiteren Vorgehen hat das BMF mitgeteilt: Unter Einbeziehung der Entwicklungen auf EU-Ebene will das BMF die Arbeiten für die Einführung eines transaktionsbezogenen und echtzeitbasierten Meldesystems konsequent fortsetzen und Beschleunigungsmöglichkeiten für die Umsetzung prüfen. Wir werden zeitnah die ersten Schritte gehen, um die Unternehmen in Deutschland auf die bevorstehende Pflicht zur Datenübermittlung an die Finanzverwaltung vorzubereiten. Gemeinsam mit den Ländern sorgen wir dafür, dass die Finanzverwaltung künftig Rechnungsdaten der Unternehmen entgegennehmen und verarbeiten kann.
Nach Realisierung des Vorhabens werden der Verwaltung aktuellere und detailliertere Informationen zu den von Unternehmen ausgeführten Umsätzen im B2B-Bereich vorliegen. Die Daten sollen für die Betrugsbekämpfung unter Nutzung moderner technischer Verfahren analysiert werden. Gleichzeitig soll aber auch geprüft werden, wie die gewonnenen Informationen zur Reduzierung bestehender bürokratischer Lasten für die Wirtschaft genutzt werden können.
Stand: 16.10.2022